HARINGER, Jakob (1898-1948) – Neue Verse (ca. 1940). Kl-8° (14 x 11 cm). Von Haringer handgefertigter Umschlag. 5 lose, beidseitig beschriebene Bll. mit 10 Gedichten.
Unveröffentlichtes eigenhändiges Manuskript Haringers. Enthalten sind die Gedichte: „Märchen“ (15 Zeilen), „Die Krone“ (17 Zeilen), „Sei nicht traurig, alle Wolken wandern.“ (17 Zeilen), „Elegie“ (17 Zeilen), „Alt.“ (17 Zeilen), „An Christel“ (21 Zeilen), „Resignation“ (23 Zeilen), „Träumerei“ (17 Zeilen), „Flüchtige Laune des Glücks“ (17 Zeilen), „Herbst“ (13 Zeilen).
Auf der Umschlag-Rückseite schrieb Haringer: „Für Freunde der Dichtung in 5 Exempl. geschrieben“. Haringer vergab ein und denselben Titel mehrmals an verschiedene Gedichte, sodass ein gleicher Titel nicht sogleich bedeutet, dass es sich auch um dasselbe Gedicht handeln muss.
Sehr schönes Manuskript mit bisher unveröffentlichten Gedichten Haringers. Beispiel: „Elegie / Einmal möcht ich wie ein Kind noch leben / Möchte rein sein, ach, u. wahr u. klein! / Das wär wohl ein schönstes größtes Leben / Manchmal noch ein dummer Junge sein / Ach, so wunschlos in die Wolken blicken / Oder nachts zum lieben guten Mond… / Sich an einem Wanderlied entzücken / Oder einer fremden duftend Blond / Große unentdeckte Inseln malen / Oder Schlösser, die man dann sich kauft / Ach, wie klein sind alle Erdenqualen / Weil du froh der ganzen Welt vertraust / O, du Jugend! Deine Morgenröte… / Kommst du noch mal in dies schwere Herz? / Sanft wie längst vergessene Zauberflöte / Was zerbrach dich du mein Knabenherz?“ – Umschlag eingerissen und leicht fleckig, teils leicht fleckig. // // Jakob Haringer wurde 1898 in Dresden als Johann Franz Albert geboren. Er besuchte Schulen in München, Salzburg, Traunstein und Ansbach. Im Alter von 16 Jahren verließ er die damalige Realschule Ansbach ohne Abgangszeugnis. Eine kurz darauf begonnene Kaufmannslehre in Salzburg brach er bereits wenige Monate später im Februar 1915 ab und begab sich auf Wanderschaft. Nach dem ersten Weltkrieg zog Haringer nach München, sympathisierte mit der Revolution und wurde bei der Niederschlagung der Münchner Räterepublik 1919 für kurze Zeit inhaftiert. Ab 1920 folgten weitere Veröffentlichungen, während er sein Wanderleben in Deutschland und den Nachbarländern fortsetzte und sich als Tagelöhner, im besten Fall als Kneipenpianist, durchschlug. Er wurde wegen Teppichschmuggel polizeilich gesucht; später folgten Anzeigen wegen Urkundenfälschung, Meineid, Beamtenbeleidigung, Hausfriedensbruch und Gotteslästerung und mehrfache Zwangseinweisungen in psychiatrische Anstalten. 1929 nahm Haringer am Internationalen Vagabundenkongreß in Stuttgart-Degerloch teil.
Haringer wurde von Hermann Hesse, Alfred Döblin und Erich Mühsam gefördert. Durch Empfehlung von Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel bekam er Kontakt zum Zsolnay-Verlag. Von 1931 bis 1933 lebte er in Ebenau bei Salzburg mit der Schauspielerin Hertha Grigat zusammen. Aus dieser Beziehung gingen zwei nicht eheliche Kinder hervor. 1933 wurde er Mitglied der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller. Im Juli 1936 wurde ihm von den nationalsozialistischen Machthabern die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Im März 1938 floh Haringer aus Österreich nach Prag und von dort in die Schweiz. 1939 lebte er vorübergehend in Paris, anschließend wieder illegal in der Schweiz, wo er während des Zweiten Weltkrieges in verschiedenen Flüchtlings- und Internierungslagern festgehalten wurde. 1939 wurden Haringers Werke auf die „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ der Reichsschrifttumskammer gesetzt. Im Oktober 1940 ins Arbeitslager Dietisberg (Baselland) eingewiesen, flüchtete er im Januar 1941 nach Zürich, wo er im Februar gefasst und im Internierungslager des Gefängnisses Bellechasse bei Murten inhaftiert wurde. Im August gelang ihm die neuerliche Flucht. Januar bis Juni 1942 Aufenthalt in der Nervenklinik Schlössli in Oetwil am See bei Zürich, danach im Interniertenheim „Les Aroles“ in Leysin, 1943 im Arbeitslager Brissago (Tessin), dann „Privat-Internierter“ in Burgdorf und Bern. Eine Berner Hilfsorganisation ermöglichte es Haringer, sich ab 1943 in Bern niederzulassen. 1946 siedelte er nach Köniz bei Bern über. Haringer starb während eines Besuchs bei Freunden in Zürich im Alter von 50 Jahren an einem Herzinfarkt.
Jakob Haringer, dessen Werk vorwiegend aus Gedichten besteht, war ein eigenwilliger Autor, der nur am Rande vom Expressionismus beeinflusst war. Seine Werke haben vorwiegend die eigenen Empfindungen zum Thema und schwanken unablässig zwischen tiefem Gefühl, großer Melancholie und wüsten Ausfällen gegen Gott und die Welt. Mit seiner Lebensgestaltung stellte er sich bewusst in die Tradition von fahrenden Sängern wie François Villon, dessen Lieder er ins Deutsche übertrug. Haringers Nachlass befindet sich heute im Schweizerischen Literaturarchiv in Bern und im Salzburger Literaturarchiv.
EUR 1.500,-